Der alte osmanische Palast und heutige Gästehaus der Universität ist erneut unsere Herberge, denn wieder einmal machen wir Pause in der wunderschöne Stadt Sanliurfa. Es ist nun bereits das 3. Mal. Nur fühlt es sich diesmal an, als führen wir ein Gravity-Assist Manöver aus der Raumfahrt durch und holen auf dieser vorerst letzten Runde durch die Ost-Türkei ordentlich Schwung, um nun doch endlich in den Iran weiterzureisen. Mit den frischen Visa in der Tasche, Fred in der Werkstatt durchgecheckt, nach einem glücklich überstandenen Krankenhausaufenthalt und einer 2‑Jahres Auftenhaltsgehmigung für die Türkei geht es nun auf zu neuen Abenteuern, tief hinein in das alte Persien. Blicken wir aber zurück und reisen noch ein Stück mit unseren Freunden Conny und Artur weiter, die mittlerweile bereits wieder daheim im verschneiten Deutschland angekommen sind.
Während wir Ende Oktober also gemeinsam weiter die Mittelmeerküste entlangreisen, Höhlen und Grotten wie zum Beispiel „Himmel und Hölle“ erneut besuchen, erreicht uns über verschiedene Kanäle die Nachricht, dass der Iran wieder öffnet. Mit diesem neuen Horizont im Kopf verbringen wir einen schönen Abschiedsabend an der berühmten Antiochia-Bucht, Conny bäckt leckere Pizza und wir staunen, wie schnell die knapp drei Wochen vergangen sind die wir zusammen unterwegs waren. Am nächsten Morgen winken wir den beiden noch lange hinterher, wie sie langsam aber stetig den steilen Hügel hinauf tuckern. Tosia weint bitterlich, waren die beiden für sie doch ein wichtiger Anker zurück in die Heimat…
Um so wichtiger und schöner war die Rückkehr nach Zeytinada zu unserer liebgewonnen türkischen Familie. Hier verbringen wir eine ganze Woche. Es gibt wieder leckerstes Essen und wir helfen mit, wo es geht. Leo kellnert jeden Tag im Restaurant und verdient erstes Trinkgeld, Madzik bäckt und kocht in der Küche und ich schweisse neue Stahlgestelle für Vertikal-Beete. Zwischendurch fahren wir immer wieder in die Kreisstadt Gazipasa und erledigen bürokratisches. So machen wir einen zweiten Anlauf mit unser Aufenthaltsgenehmigung und dürfen die Meldeadresse der Familie nutzen. Dafür sind einige Notargänge und Versicherungen nötig. Sind wir in Gazipasa, stehen wir abends am wunderschönen Strand, der bereits ein bekannter Treffpunkt für internationale Camper ist. Hier lernen wir einige Deutsche, Polen, Franzosen und Belgier kennen, viele aus dem kalten und unerträglichen Europa „geflohen“. Von einem bekommen wir die aufregende Idee doch auch Saudi-Arabien zu bereisen, ins Ohr gesetzt. Na mal schauen… Ansonsten sind die Tage auch mit weniger erfreulichem bestückt. So kämpfen wir zunächst mit einem Wurmbefall, dann plagt einige von uns eine unschöne Erkältung und zu „guter“ Letzt sind plötzlich jede Menge Flöhe unsere Mitbewohner. Letztere bleiben hartnäckig über eine Woche, trotz unzähliger Waschmachinenladungen und täglich mehrmaligem desinfizieren von Fred. Am meisten hat es Tosi getroffen. Dann aber kommt der herzliche Abschied aus Zeytinada und auch die Aufklärung. Im Schotter des Hofes gab es im Sommer eine wahre Flohplage, eingebracht durch Hunde. Diese waren durch das milde Wetter von den Toten erweckt und freuten sich unser und besonders Tosias, die mit Vorliebe auf dem Boden spielte… Zwei Tage später waren sie weg. Dankbar und sich als Teil der Familie fühlend verlassen wir Zeytinada und fahren nach Alanya weiter.
Hier stand uns in den nächsten Tagen einiges an Organisation bevor. Es werden nervenaufreibende Tage, die wir im Detail nicht beschreiben müssen. Kurz zusammengefasst besorgen wir uns nun endlich die neue Aufenthaltsgenehmigung (Ikamet) für die Türkei. Diese haben wir gleich für 2 Jahre abgeschlossen, denn man kann ja nie wissen… Im Anschluss brauchte Fred neue Zollpapiere. Für die Rückzahlung eingezahlter Gelder in Batman mussten wir erneut zum Finanzamt, türkische Konten eröffnen und unzählige Kopien nachreichen. Zwischenzeitlich erfuhren wir, dass über eine Passkopie von mir illegale Machenschaften stattgefunden haben. Somit mussten wir mehrere gerichtliche Behörden ablaufen und ein Aussage machen. Zum Glück konnten wir hierbei aber auf die unerlässliche Hilfe von unseren türkisch-holländischen Freunden Aylin und Henry bauen. Wann immer es zwischendurch möglich war, fuhren wir aus Alanya raus und an einen leeren Strand im benachbarten Konakli. Und genau hier wollten wir an einem Abend zum leckere Burger über dem Feuer grillen, als es passierte.
Fred parkte auf einer Betonfläche und für einen besseren Windschutz parkte ich ihn ein paar Meter zurück. Dafür muss die Aussenleiter ab. Kurz bevor ich sie wieder ranmachen wollte, hörten wir draussen einen dumpfen Aufschlag und dann schreien. Tosia war aus 1,5m Höhe flach auf den Beton geknallt. Sie bekam keine Luft, Blut quoll aus Mund, Kinn und Ohr. Sofort warfen wir alles ins Auto und fuhren direkt zum nahegelegenen Krankenhaus. Es war eine kleine Privatklinik und gleich lief alles professionell und mit viel zutrauen ab. Tosia wurde geröntgt, am Kinn genäht und zur Tomographie nach Antalya gebracht. Spät Abends dann die Entwarnung. Eine handvoll Schutzengel hat dafür gesorgt, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Die tiefe Wunde am Kinn wird verheilen, ebenso ein Riss im Trommelfell. Zur Nacht blieb sie mit Madzik im Krankenhaus zur Beobachtung. Schon da war alles nicht mehr so schlimm, denn es gab einen Fernseher und fürstliches Abendessen. Gleich am nächsten Morgen wurde sie entlassen und wir alle waren müde aber unendlich dankbar für die schnelle und professionelle Hilfe.
Nachdem wir letzte bürokratische Hürden in Alanya genommen haben, verlassen wir die Stadt nach über einer Woche. Die Tage waren zwar stressig, aber auch einiges Schönes gibt sie uns mit auf den Weg. So lernten wir hier Jason und Natalie, Auswanderer aus Kanada/Russland kennen und teilten mit ihnen viele spannende Geschichten. Auch die Stadt selbst gab einige schöne Ecken jenseits des alten Hafens preis. Dennoch waren wir glücklich, dass Alanya uns gehen ließ. Dank eines unergründlichen bürokratischen Wunders, konnten wir schon jetzt unsere frischen Ikamet-Karten in Gazipasa abholen. Das wurde sodann auch unmittelbar mit viel Wein und einem Kinoabend am Meer gefeiert. Dann aber hiess es Abschied nehmen vom Mittelmeer. Und dafür gibt es wohl kaum ein besseres Plätzchen als die von den Kindern getaufte „Drachenbucht“ an der alten Küstenstraße zwischen Gazipasa und Alanya. Hier werden nochmal die Wasserdrachen gefüttert und besänftigt und wertvolle gesammelte Schätze am Strand vergraben. Zum Sonnenuntergang gibt es Senfeier mit Kartoffeln und nach einer ruhigen Nacht brechen wir auf nach Norden in die Berge Richtung Ankara.
Der Szenenwechsel tut gut, denn der Stress der letzten Wochen ist auch als unangenehme Verzerrung in meiner Schulter und Hals angekommen. Es wird knapp zwei Wochen dauern, bis diese und die damit verbundenen frankensteinschen Kopfbewegungen wieder weg sind. Auf dem Weg nach Ankara, wo wir unser Iranvisum einlösen wollen, machen wir erneut Station in Konya. Das Programm zum letzten mal ist ziemlich ähnlich. Zunächst aber werden unter viel Tränen und Zureden die Fäden an Antonias Kinn gezogen. Dann geht es weiter zum Gherdan-Gold Hotel, wo man uns wiedererkennt und wir ein paar herrliche Nächte verbringen. Der Lira Kurs ist nun bereits bei 1 – 15 angekommen, was jegliche Ausgaben auf ein schon fast unvertretbares Minimum reduziert. Im Hotel geniessen wir die großzügige Sauna und Hamam, gönnen uns Massagen und tanken langsam wieder auf. Am schönsten jedoch ist das Wiedersehen mit Osman. Mit ihm verbringen wir viel Zeit. So gehen Leo und Antonia mit seiner Tochter Hazel zweimal zum Taekkwondo-Training. Sie hat den schwarzen Gürtel und trainiert seit längerem eine Kindergruppe. Auch nimmt sich Osman Zeit für eine wichtige Schulaufgabe von Leo. So führt Leo mit ihm ein langes Interview über den Islam durch und gemeinsam besuchen sie eine Moschee. Da Osman als Kind viele Jahre auf einer Islamschule und Internat war, ist er durchaus prädestiniert dafür. Aber auch Fred kommt nicht zu kurz. Dank Osmans Hilfe wird er in verschiedenen Werkstätten gepflegt und durchgecheckt. Es werden der Motor und die Hinterachse abgedichtet sowie Bremsen und Kupplung getestet. Nach fünf Tagen verabschieden wir uns herzlich von Osman und fahren nur ein kleines Stück weiter Richtung Ankara. Denn ohne einen Besuch im Konya Science Center geht es nicht. So verbringen wir erneut einen ganzen Tag und wieder überkommt mich das Déjà-vu, im guten alten Pionierpalast gelandet zu sein. Das Wochenendthema ist „Sterne und Weltraum“ und so basteln die Kinder Polarlichter und Galaxien und fliegen im Planetarium durch den Kosmos.
Nun geht es weiter hoch nach Ankara. Wir konzentrieren uns voll und ganz auf das Visum. Unterwegs erledigen wir noch letzte bürokratische Vorbereitungen wie Passfotos, Lebenslauf, Reiseroute und unzählige Kopien. Die innere Anspannung steigt und der Moloch Ankara und sein alltägliches Verkehrschaos tun ihr übriges. Nach stundenlanger Stellplatzsuche kommen wir in der Nähe der Botschaft unter und machen uns gleich Frühs auf den Weg. Und dann geht plötzlich alles ganz schnell und entspannt. Innerhalb von nicht einmal 1 ½ Stunden halten wir unsere Visa in der Hand. Es braucht ein bisschen, bis es im Großhirn ankommt und wir realisieren, dass sich gerade die Türen nach Persien geöffnet haben. Schnell wollen wir Ankara verlassen. Es ist kalt und regnet in Strömen. Leider kommt da ein Geldautomat im Shoppingcenter auf die Idee meine Mastercard zu fressen. Und wie es im digitalen Zeitalter der Servicehotlines so ist, geht erstmal garnichts. Stunden später, ich war bereits mit einem netten Türken bei zwei verschiedenen Postämtern, wird sie dann von einem zufällig vorbeikommenden Servicetechniker befreit. Abfahrt – so schnell wie möglich! Am großen Salzsee Tuz Gölü machen wir erstmal Pause, lassen den Blick in die Ferne schweifen, versuchen das Visumglück zu begreifen und planen erstmal grob die Route bis zum Iran. Vor Weihnachten wollen wir schon dort sein.
Was aber liegt jetzt direkt vor uns auf dem Weg? Kapadokien. Und genau dort wollen wir so gerne nochmal hin. Wir lassen das kalte nasse Wetter hinter uns und genießen eine sonnige Woche in dieser bizarren Tuffsteinwelt. Wir treten ein vom Westen her, über Nevsehir wo wir vor einem guten Jahr die späteren Reisefreunde Isolde und Diether, Till und Ates sowie Christoph und Adnana kennenlernten. Von der Erlebnisdichte her aber fühlt es sich an wie vor drei oder vier Jahren. Nun aber heisst es endlich mal wieder wandern. Es geht hinab in das Weisse‑, Zerve und Liebestal und wieder hinauf zum magic Sunsetview-point. Dort gibt es zwar keine Ballons zu bestaunen, dafür aber einen Bilderbuchsonnenuntergang kredenzt mit georgischem Weisswein, Spagetti Bolognese und vielen lieben Wünschen zum 2. Advent. Wir klettern hinauf zum Botzepe Plateau und bestaunen die Landschaft unter uns und versuchen die einzelnen Täler wiederzuerkennen. Langsam fahren wir weiter Richtung Süden über Mustafapaza, vorbei am halb verlassenen Cemil und weiter über allradtaugliche Feldwege hin zum Overlander-Abenteuerplatz am gänzlich verlassenen Höhlendorf Golgoli. Hier gibt es am Abend nach Taschenlampenexkursionen zum Entspannen „Zurück in die Zukunft“ für die Kinder – Mensch, was waren das noch für Zeiten damals…! In den weit südlich gelegenen Sogunli Höhlentälern verabschieden wir uns nach zwei schönen Wanderungen abermals vom zauberhaften Kapadokien.
Nun heisst es ein bisschen Strecke machen. Wir fahren durch den ersten kräftigen Schnee aber zum Glück müssen unsere frisch gekauften Schneeketten noch nicht zum Einsatz kommen. Der nächste Stopp ist Gaziantep auf dem städtischen Camper-Platz. Hier machen wir einen dringend nötigen Haushaltstag. Fred braucht einen neuen Servoschlauch und kleinere Reparaturen sind nötig, mehrere Waschmachinenladungen sind fällig und Sommer-Winter Klamotten müssen umgepackt und aussortiert werden. Und das wichtigste wollen wir ja nicht unterschlagen, wofür auch so einiges vorzubereiten war – Tosis Geburtstag. Es gibt Papageikuchen aus dem Omnia-Backofen, Selbstgebasteltes und gestricktes, viel Sonne, Glück und leuchtende Augen.
Dann schliesst sich ein weiterer Kreis hier in Sanliurfa. Nur wenige Tage bleiben bis zur Grenzüberquerung. Wir holen noch einmal Luft für diesen letzten großen Schwenker in den alten Orient. Parallel zu unserer Vorfreude überschlagen sich die Nachrichten und Ereignisse daheim. Eine neue Regierung ist angetreten und eine allgemeine Impfpflicht wurde angekündigt. Die Proteste dagegen mehren sich und immer mehr Menschen gehen auf die Straße. Unterwegs treffen wir vermehrt auf Menschen die alldem den Rücken kehren, es werden mögliche Auswanderungsziele diskutiert und das gängige offizielle Narrativ sinnvoll hinterfragt. Uns schwirrt der Kopf und wir sind zumindest froh, dass es weiter Richtung Osten und damit weiter weg vom Westen geht. Immer mehr aber sorgen wir uns auch um die Rückkehr, die Rückkehr in eine Welt die wir so wahrscheinlich nur schwer wiedererkennen werden. Deshalb sind wir dankbar, in der Türkei so lange ein temporäres zweites zu Hause gefunden zu haben. Das Leben hier fühlt sich trotz der offensichtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten (die es jedoch weltweit gibt) normal an. Immer mehr Masken fallen (im übertragenen wie reellen Sinne) und schon lange gibt es keine lockdowns oder anderweitige spürbare Einschränkungen mehr. Und einschränken, das wollen wir uns schon lange nicht mehr. Deshalb blicken wir gespannt nach vorne, nicht allzu weit, nur ein paar Wochen und das reicht uns schon, um glücklich zu sein.
Auf bald!
Kommentare (3)
Hallo Ihr lieben 4 Rumtreiber, ich bin fast neidisch auf Eure schönen Erlebnisse. Meine ELKE und ich wünschen Euch ein frohes und vor allem gesundes Weihnachtsfest ohne Flöhe. Eventuell gibt es dort auch einen Weihnachtsmann, Ihr müsst nur richtig aufpassen dann werdet Ihr ihn auch sehen. Nun verlebt die Feiertage recht gut und treibt es nicht zu toll.
Viele liebe Grüße Dieter.
Hallo Ihr Lieben,
ohje, was für ein Drama mit Tosia, kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie Euch das Herz in die Hose gerutscht sein muss! Ich erinnere mich nur zu gut, wie krass hoch der Einstieg bei Euch ist. Schön zu lesen, dass sie es dann doch noch mit einem “blauen Auge” überstanden hat!
Ich bin gespannt, wie Ihr den Iran erleben werdet und was Ihr von dort für spannende Erfahrungen und Erlebnisse zu berichten habt. Ich freue mich sehr für Euch, dass Ihr endlich alle bürokratischen Hürden habt nehmen können, damit Ihr Euren Traum weiterleben und Eure Reise nun wieder etwas mehr so fortsetzen könnt, wir ursprünglich erhofft und geplant! Wie immer drücke ich Euch dabei die Daumen, auch, dass der gute alte Fred durchhält bzw. am Durchhalten gehalten werden kann 🙂
Sie alle scheinen eine wundervolle Zeit zu haben. Danke, dass du in diesen seltsamen Zeiten dein Fenster zur Welt teilst. Ich wünsche Ihnen allen ein friedliches und glückliches Jahr 2022.
Jan