Unsere Landkarte der Webside ist leider irgendwo im binären Raum zwischen Batumi und Erzurum hängen geblieben und streikt seitdem. Wir aber haben uns weiterbewegt und zwar mit unseren lieben Freunden Conny und Artur aus Deutschland. Gemeinsam sitzen wir am türkischen Mittelmeer bei lauen sommerlichen Temperaturen und genießen die milde feuchte Luft nach Wochen staubiger, trockener und heißer Luft der anatolischen Hochebenen. Ich versuche zurückzudenken an den Abschluss des letzten Blogs. Lang ist es her, obschon nur etwas mehr als 2 Monate. Dennoch sind wir in der Zeit gewandert, gefahren, haben entdeckt, erkundet, erlebt und so wunderbare neue Freunde kennengelernt wie sonst in 2 Jahren nicht. Kehren wir aber erstmal zurück zum Tsalka-Canyon.
Hier lernten wir Bella kennen, eine sehr offene und herzliche Amerikanerin mit georgischen Wurzeln. Wir erfahren, dass die Gegend fast so multi-kulti ist wie Berlin. Es lebten hier Griechen, Armenier, Azerbaijaner, Russen und Georgier lange nebeneinander. Und seit 2 Jahren auch ein wilder Franzose mit seiner russischen Freundin und Kind. Auf Weltreise ist er einfach hiergeblieben, lebt seither kostenlos in einem alten Bauernhaus das nun das urige Hostel „coucou“ beherberg. Wir schauen vorbei und bekommen köstlichen selbsgekelterten Wein und selbstgemachten (Käse) serviert. Produkte die er auf dem Markt in Tbilisi verkauft und sehr gut davon leben kann. Ein weiteres interessantes Aussteiger-Model…
Weiter geht die Reise durch den tief eingeschnittenen Chrani Canyon, vorbei an einem alten Wasserkraftwerk das deutsche Kriegsgefangene nach dem 2. Weltkrieg bauten, hinauf zur alten Festungsstadt Samschwilde. Viel konnten wir darüber nicht finden, aber die Lage auf einem steilen Plateau zwischen zwei Flüssen schien einen Abstecher wert. Schon spät schnauft Fred mit Allrad hinauf. Es geht nicht mehr weiter. Überall hüfthohe Mauern und Abgrenzungen, alte Wegnetze und Wasserkanäle und unzählige wilde Bäume und Sträucher. Weitere Erkundungen werden auf den nächsten Tag verschoben. Die Nacht wird schwül, heiß, windstill und verziert mit liebevoll anhänglichen Beißfliegen im Auto. Doch der Morgen lässt alles vergessen. Wir stoßen auf eine alte Burganlage in der gerade zwei Ausgrabungen parallel verlaufen. Von Dimitri, dem staatlichen Ausgrabungsleiter, bekommen wir eine spontane zweistündige Führung mit einem Ritt durch die Zeitalter von megalithischen Burgresten bis zu mittelalterlichen Wohnformen und lernen, dass wir auf einer überwucherten, vergessenen Megacity des Altertums umherwandern. Überwältigt und dankbar verabschieden wir uns und tuckern weiter nordwärts. Wir bleiben zwei Tage im nicht weit entfernten Trialeti Nationalpark und wandern wie schon vor 5 Jahren durch die wilden räuberischen Schluchten, erklettern Burg- und Kirchenruinen und finden Spuren von Bären und Wölfen. Ein Elbsandsteingebirge ohne Wege und Menschen. Was passt da am Abend bei Vollmond besser als ein Kinoabend mit „Spuk unterm Riesenrad“.
Aus den kühlen Bergen geht es hinab in das gewittrig heiße Rustavi, südlich von Tbilisi. Rustavi wurde in den 50er Jahren in einer staubigen Ebene als Industriestadt aus dem Boden gestampft. Vieles erinnert an die ehemals sozialistische Heimat á la Eisenhüttenstadt und uns empfängt morbider Charme mit einer ausgeprägten Subkultur, abgewandert oder geflüchtet aus dem zusehends gentrifizierten Tbilisi. Das monumentale Empfangs- und Eingangsgebäude des Stahlwerkes ist gigantisch und um einiges größer als das Hauptgebäude der Humboldt-Uni in Berlin. Wir bleiben ein paar Tage, treffen Anne und Christoph mit Kindern wieder, klappern erfolglos die Iranische und Azerbaijanische Botschaft in Tbilisi ab und holen bei DHL unsere heiß ersehnte Verlängerung des Carnet de passage ab. Nun sind wir zumindest gerüstet für den Fall, dass die Grenze zum Iran wieder öffnet. Und, schon lange überfällig, waschen wir Berge von Wäsche in der berüchtigten „Speed Queen laundry“ in Tbilisi – einem waren Globetrottermagneten. Auch wir treffen alte Bekannte wieder und machen neue Bekanntschaften in der 60 minütigen Wartezeit… Rustavi zieht uns während dessen immer mehr in seinen Bann. Wir umrunden das ehemalige Stahlwerk, sehen gigantische Industrieruinen und ein Gefängnis nach dem anderen. Einst arbeiteten hier tausende Menschen, nun sind tausende arbeitslos. Das lokale Museum präsentiert Errungenschaften vergangener Zeiten und der verbliebene Abglanz dessen stimmt melancholisch und traurig. Während ein nächtlicher Gewitterguß für Madzik und die Kinder jubelnd als willkommene Dusche genutzt wird, wäscht er zugleich Staub, Hitze und die nachdenktliche Stimmung fort.
Nächster Meilenstein weit im Osten Georgiens ist Dedoplistskaro, Ausgangspunkt für die Erkundung des Vashlovani Nationalparks. Nachdem wir alle Genehmigungen bei der Parkverwaltung und Grenzpolizei eingeholt haben, geht es nach der Übernachtung am himmlischen Kloster St. Elias rein ins Abenteuer. Die Nächte zuvor hat es mächtig geregnet, entsprechend schlammig sind noch einige Wege. Dank Allrad aber kommen wir sicher am Dali Stausee an und machen uns am nächsten Morgen auf zu den berühmten Schlammvulkanen. Leider sind für uns die Takhi-Tepha Vulkane erstmal nicht erreichbar. Ein Canyon muss durchquert werden, welcher noch zu verschlammt ist und ein Steckenbleiben mit einem 7‑Tonner bei 45 Grad im Schatten wäre nicht so schön. Deshalb fahren wir noch weiter und tiefer in die Halbwüste, teils eskortiert von der Grenzpolizei und erreichen einige Stunden später in einer wunderschönen weiten Mond-Wüsten Landschaft die Quila Kupra Schlammvulkane nur wenige hundert Meter von der azerbaijanischen Grenze entfernt. Überall blubbert es, mal quillt Schlamm, mal Erdöl aus den kleinen Kratern. Wir sind fasziniert von diesem surrealen Schauspiel und sofort buddeln die Kinder nach neuen Quellen, helfen kleine Kratern bei der Blubberarbeit und sind schnell matschig und grau. Das schwarze Gold ist dabei hartnäckig und lässt sich nach zahlreichen Versuchen so richtig erst mit Bremsenreiniger von Armen und Beinen entfernen. Nach einer weiteren Nacht und herrlichem Badevergnügen am Stausee geht es zurück nach Dedoplistskaro. Das Wetter ist gut und so wagen wir noch einen weiteren Vorstoß in den Nationalpark. Diesmal ganz nach Osten, sprichwörtlich in den letzten Zipfel Georgiens. Wir passieren einen alten russischen Militärflughafen, mit Bunkern, Hangar, altem MIG-Wrack und einer intakten kilometerlangen Start- und Landebahn auf der FRED minutenlang in einem technisch hochkomplexen Manöver auf seine atemberaubende Höchstgeschwindigkeit von 95 Km/h beschleunigt. Einige offroad-Stunden später tuckern wir durch den Bärencanyon und erreichen an der Rangerhütte am Pantiskara Aussichtspunkt unseren Nachtstellplatz. Hier treffen wir auf Domenik und Benny, zwei offroad Enthusiasten aus Deutschland. (Jungs, falls ihr das liest, meldet euch bitte bei uns!). So gibt es bei Sonnenuntergang spannende Lebens- und Reisegeschichten, Leo fabuliert und diskutiert über Allradtechnik und Tosi spielt mit Benny Carcassonne. Am nächsten Morgen fährt jeder wieder seiner Wege. Was bleibt ist eine kurze wunderschöne Momentaufnahme im Leben. Wir machen noch einen großen Schwenker nach Osten, durchfahren ausgetrocknete Flüsse, bestaunen hunderte Jahre alte Pistazienbaum-Wälder und kehren dann zurück in die Zivilisation.
Blick in den Vashlovani Nationalpark Vashlovani Exkurs in Aerodynamik Alter Militärflugplatz in Vashlovani Kunstperformance im Womo So fliegen hier die Adler im Eagel-Canyon Vashlovanische Weiten Matschvulkane mit Erdöl Geographie der Matschvulkane Weiten in Vashlovani – im Hintergrund Azerbaijan Matschtest für FRED fällt negativ aus Hier muss FRED leider umdrehen Blick vom St. Elias Kloster in den Vashlovani NP
Von Dedoplistskaro aus geht es mit einem ordentlich abgekärcherten und abgeschmierten Fred durch die Alazani Ebene zum nächsten Nationalpark – Lagodechi. Auch hier bleiben wir wie vor 5 Jahren schon, mehrere Tage. Die Parkverwaltung liegt direkt am Gebirgseingang in wunderbar schattigem und kühlen Mischwald – ein formidabler Stellplatz. Schnell finden auch hier die Kinder neue Freunde und wir treffen auf Micha, einem Profibasketballer und seine nette Familie. Mysteriöser Weise sahen wir uns bereits in Tbilisi und Rustavi. Die Welt ist ein Dorf! Auch seinen Schwiegervater durften wir kennenlernen – einen Ex-Profiboxer, Soldat in Wünsdorf bei Berlin und KGB-Mitarbeiter. Da gab es natürlich viel Gesprächsstoff. Nebenher erwandern wir die beiden Wasserfälle „black grouse“ und „Ninoshkevi“, baden in kühlen Gebirgsflüssen und fallen glücklich und lebensgesättigt in die Federn.
Nachdem wir uns den bekannten und wirklich empfehlenswerten georgischen Film „Der Vater des Soldaten“ angeschaut haben, besuchten wir dessen Denkmal in Gurjani. Über Telavi und zahlreiche Klöster am Wegesrand geht es nun Richtung Norden mit voller Kraft hinein in die wilde Bergwelt des großen Kaukasus. Mit viel Proviant geht es über steile Serpentinen und Schotterstraßen hinauf nach Roshka. Hier treffen wir auf Fabian und Alexandra zwei sehr nette junge Schweizer in ihrem rustikalen alten VW-LT. Wir werden uns noch öfter treffen und wunderbar über die aktuelle „Weltlage“ philosophieren. Zunächst aber ist unser Ziel, die auf knapp 3000m Höhe liegenden drei Gletscherseen zu erwandern und dort zu übernachten. Wieder schüren wir die Rucksäcke, machen uns auf den Weg und als wir die ersten Hochweiden erreichen, der Blick von oben durch die Täler und über die schroffen Bergkämme schweift, die Wolken noch schneller ziehen und das wuselige Leben und die Hitze weit weg sind, legt sich wieder diese „Bergruhe“, der tiefe Frieden und die Entrücktheit wohlwollend aufs Gemüt. Oben am grünen See bauen wir unser Zelt auf, kochen lecker China-Suppe, machen es uns zur Dämmerung draußen in den Schlafsäcken gemütlich und beobachten den Aufgang der Sterne – es ist Sternschnuppenacht. Seit einem halben Jahr wünscht sich Tosia eine zu sehen – und schwupps, erst eine, dann noch eine… – und so feiern wir mit ihr Premiere, hoch oben im georgischen Kaukasus.
Wenig später geht es noch tiefer hinein in den Kaukasus. Wir sind wie magisch angezogen, wollen bis in den letzten Winkel vorstoßen, bis dorthinein wo kein Jeep mehr hinkommt, wo die letzten mutigen Familien noch überwintern. Und so führt uns der Weg hinauf und hinab über den berüchtigten Bärenkreuzpass, durch enge Kerbtäler auf schmalen, oftmals gefährlich abgerutschten Pisten über Shatili zunächst nach Mutso. Unterwegs erkunden wir uralte, verlassene, verschachtelte Wehrturmdörfer, bestaunen die gruselige Legende vom Friedhof von Anatori (pestkranke Dorfbewohner gingen selbst in das Grabhaus um andere nicht anzustecken) und sehen immer wieder Kindergräber am Wegesrand (vermutlich Hirtenjungen). Und egal wie hoch und weit man auf die steil aufsteigenden Hänge schaut, überall finden sich Zeichen früherer Bewohner und Bewirtschaftung – Schreine für die Feuergötter, Friedhöfe an beängstigend steilen Flanken oder Reste von Höfen an entlegenen nahezu unzugänglichen Hangrändern. Man kann sich kaum sattsehen… In Mutso lernen wir eine der wenigen Familien kennen, die hier noch überwintert. Das heißt 8 Monate abgeschnitten von der Aussenwelt, wenn der Bärenkreuzpass nicht mehr passierbar ist. Die Kinder freunden sich mit Keti an, einem wilden Bergmädchen. Die atemberaubende Szenerie, die rauen aber herzlichen Menschen die im Einklang mit der Vergänglichkeit zu leben scheinen, das augenscheinlich extrem gefährliche Leben hier oben, all das beeindruckt uns zutiefst. Da wirken die stumpfen Nachrichten von außen – Corona-Impfung schon ab 12, vielleicht sogar ab 5, in Kabul übernehmen die Taliban die Macht, Deutungshoheit… – wie von einem anderen kranken Planeten der aus den Fugen geraten ist. Mehrere Tageswanderungen zwischen 10 bis 15km unternehmen wir noch ab Mutso und Ardoti. Die Wege sind oftmals nicht einmal mit Pferd passierbar. Es geht über Stock und Stein, barfuß durch Flüsse, vorbei an Bären- und Luxspuren, unbekannten Schlangen ausweichend und jeweils endend in einem alten Dorf und gastfreundlich empfangen und bewirtet von den letzten Einheimischen. Wir verlassen dieses Paradies, reichlich beschenkt mit Honig, Milch, Joghurt und Käse. Vom Bärenkreuzpass ein Abschiedspanorama auf die schneebedeckten Vier- bis Fünftausender des Kaukasus und dann geht es wieder hinab in die Zivilisation und hinein in einen krassen Tapetenwechsel nach Tbilisi.
Denn auch diese Stadt ist immer eine Reise wert. Wir wollen uns Zeit nehmen, schauen was sich in den letzten fünf Jahren verändert hat und nach der klaren Bergluft mal wieder etwas Großstadtluft schnuppern. Und da wir nun schon über ein Jahr in Fred wohnen, er auch mal eine Pause verdient hat und wir sehen wollen wie es so ist, haben wir für eine Woche eine Wohnung gemietet. Unser temporäres zu Hause ist ein authentischer Altbau mit Balkon und bröckelnder Fassade. Es fühlt sich ein bisschen an wie Adlershof und wir genießen die festen vier Wände in vollen Zügen – kochen, duschen, Filmabende, Balkonwein, ausstrecken – alles mit zehnmal mehr Platz. In der Woche erkunden wir Stadt zu Fuß, besuchen Museen, Achterbahn und Geisterbahn, kriechen in dunkle und helle Ecken, sehen „Die unendliche Geschichte“ und „So ziemlich beste Freunde“, schlecken Softeis in rauen Mengen und lassen die Abende im Skatepark – dem zweiten zu Hause der Kinder – ausklingen.
Unsere nächste Station ist Gori – Stalins Geburtsstadt. Diesmal besuchen wir das Museum und sind hin und her gerissen zwischen Staunen und Hinterfragen. Dennoch ist der Personenkult offensichtlich und wir lassen den Rest lieber unkommentiert. Viel mehr erwähnenswert sind die Entdeckung einer tollen Weinkelterei in der wir uns mit einigen Dekalitern verschiedenster Couleur eindecken, ein Abend mit einem wundervollen Pianisten und „My Way“ und zwei kleinen Welpen am Stellplatz, welche Leo und Tosi mit viel Mühe wieder aufpäppeln. Auch lernen wir hier Henry und Aylin kennen, ein holländisch-türkisches Paärchen, das wir in den kommenden Wochen noch öfters treffen werden. Von Gori machen wir einen Wanderabstecher in ein Seitental zum Biisi Wasserfall und fahren dann weiter zum Kintvisi Kloster. Hier bekommen wir einen letzten Panorama-Kauskasusblick und wandern über einige Stunden und etliche Kilometer über dicht bewaldeten Berg ins Nachbartal zum Kloster Sarkis. Die alten Klosterwege sind schon längst verwachsen und nur mit GPS und intensivem Kartenstudium finden wir unseren Weg. In Sarkis angekommen, werden wir herzlich von einem jungen Mönch empfangen. Es gibt zu Essen, zu Trinken und kleine Geschenke für die Kinder. Leo und Tosia sind ganz angetan von dieser rührenden Herzlichkeit und natürlich auch von dem notwendigen Mönchs-Fuhrpark hier in den letzten Bergwinkeln – Jeeps, Quad, Allrad-LKW und Schneemobil. Das sieht bestimmt toll aus, wenn sie so im tiefsten Winter mit ihren langen braunen Gewändern und wehenden Bärten durch den Schnee sausen.
In Kintvisi verabschieden wir uns von Zentral-Georgien, machen einen großen Sprung nach Abastumani und lassen diesmal Borjomi und Achalziche an Fred vorbeiziehen. Am nächsten Morgen starten wir eine lange Wanderung, zunächst hinauf zum alten astronomischen Observatorium. Hier bekommen wir von einem altgedienten Wissenschaftler eine spannende Führung und erhalten Einblick in die lange Geschichte dieses Ortes und was es einst für ein pulsierendes Forschungs- und Lebenszentrum war. Mittlerweile ist es zum Glück weitaus besser in Schuss als bei unserem letzten Besuch vor 5 Jahren und die alten Teleskopgebäude wurden fast alle saniert. Ob es aber jemals wieder zu seinem alten Glanz und Ruhm wie zu Sowjetzeiten zurückfindet ist eher unwahrscheinlich. Wir schlendern noch etwas übers Gelände, vorbei an verfallenen Wohnhäusern, Schulen und Kindergärten und wandern dann über die alte Tamara-Burg zurück ins Tal. Hier tauchen wir am Abend in einem rustikalen Thermalbad in wunderbar heißes Thermalwasser ein und genießen das entspannte Abendglück des Wanderers.
Die Strecke von nun an über den Goderzi Pass nach Batumi wird zur Tortur für Mensch und Maschine. Die Passstraße hat seit Jahren ohnehin ihren Ruf weg, doch nun haben seit einigen Monaten massive Bauarbeiten begonnen und wir finden uns wieder in einem Giga-Projekt der neuen Seidenstraße. Überall chinesische Firmen und Maschinen, die den Pass mit Brücken, Tunneln und Sprengungen besiegen wollen. Riesige Baumaschinen nutzen entsprechend die alte ohnehin schon schmale kaputte Straße und verwandeln sie in eine Huckel- und Schlammpiste sondergleichen. Drei Tage brauchen wir für die knapp 80km und sind fix und fertig, obschon zum Glück Mensch und Maschine heil geblieben sind. Spontan fahren wir an Batumi vorbei und besuchen für einen Abend Claudia und Christoph mit Kindern aus Deutschland, die wir in Georgien kennengelernt haben und die sich gerade ein Haus in der Nähe von Poti gekauft haben. Es wird ein interessanter Einblick in die Mühen und das Glück einer Auswandererfamilie und wir wünschen ihnen alles Beste für die Zukunft!
Dann schliesst sich der Kreis in Batumi. Wir rollen ein auf den bekannten Overlander-Übernachtungsparkplatz im Zentrum am Buchstabenturm, wo wir unsere Rundreise durch Georgien vor 3 Monaten begannen. Hier treffen wir auch auf Paola und Igel, deren Wege wir vorab schon ein paarmal gekreuzt haben. Es folgen ein paar schöne Tage mit promenieren auf der Promenade, packen, sortieren, organisieren, wundervollen Weinabenden mit spannenden Reisegeschichten rund um den Globus und einem fulminanten Abschiedsfeuerwerk. Gerne wären wir noch länger geblieben, hätten gern noch mehr Zeit mit Paola und Igel verbracht, aber unser Fred musste taggenau Georgien verlassen, eine Hochzeit wartet und unsere türkische Aufenthaltserlaubnis muss zeitnah verlängert werden. Und so ging es am 14. September nach der obligatorischen PCR-Testerei wieder hinüber in die Türkei.
Der Grenzübertritt verlief trotz einiger Unklarheiten vorab völlig reibungslos und so kamen wir zügig bis nach Findik an der Schwarzmeerküste, wo wir uns über Paola und Igel spontan mit Petra aus Deutschland verabredet haben. Sie ist gerade mit ihrem giga MAN KAT. 8x8 Expeditionsmobil auf dem Weg Richtung Georgien. Wir verbringen einen sehr netten Abend zusammen, wobei Tosia ganz begeistert von Petra und Leo ganz begeistert von dem Fahrzeug ist.
Von hier haben wir knapp 2 Wochen Zeit um bis nach Batman zur Hochzeit zu kommen. So fahren wir zunächst südwärts nach Yusufeli und zum Wandern tief hinein in das Kackar Gebirge. Auf dem Weg passieren wir eines der größten Staudammprojekte der Türkei und der Welt. Parallel zur alten Talstraße wurde ein kilometerlanges Straßentunnelsystem gebaut was seinesgleichen sucht. Einmal eingetaucht kann man sich vorstellen, wie sich ein Leben auf dem Mars anfühlt. Alles brandneu, noch auf keine Karten oder in Google-Maps verzeichnet sind wir froh irgendwann die Tunnel hinter uns zu lassen. Stattdessen aber geht es nun durch Dörfer, vorbei an Feldern, Wäldern, Brücken etc., welche alsbald unter Wasser verschwinden werden. Am krassesten aber ist die Stadt Yusufeli selbst. Neu-Yusufeli entsteht gerade 400m höher und mitten in die existierende Stadt werden gerade gigantische 100m hohe Brückenpfeiler gepflanzt. Es herrscht eine surreale Stimmung und schwer vorstellbar, dass der Gemüsehändler, dieses Hotel, diese Moschee, Tankstelle, das Hochhaus bald überschwemmt sind. Die Flucht in die Bergwelt tut gut und insbesondere das Überqueren der Isolinie auf der topographischen Karte welche signalisiert, dass hier der zukünftige Stausee endet. Wir fahren die Piste weit hinter Altiparmak auf 2.200m hinauf bis es nicht mehr weitergeht. Am nächsten Morgen wandern wir auf 3.100m hinauf in eine einsame menschenleere Hochgebirgslandschaft mit schroffen Hängen, vorbei an riesigen Schuttkegeln, den Geographen beglückenden bilderbuchähnlichen glazialen Formenschatz und tiefblauen Bergseen. Die Orientierung ist schwer, alte Wege unkenntlich oder verwachsen und ohne GPS wäre ein Weiterkommen auch hier nicht möglich. Die Kinder tüchtig und frohen Mutes immer dabei, unterwegs kiloweise Berghimbeeren mampfend. Oben am Pass empfangen uns dicke Wolkenbände, die sich vom Schwarzen Meer her über den Kamm schieben und wie kalte Watte auf uns niedersinken. Eine entrückte Welt, abermals fernab jeden Trubels. Nach 8 Stunden kehren wir in der Dämmerung müde und glücklich in unsere kleine Berghütte namens Fred zurück.
In Olgunlar, wo es ein kleines Café unwirklich am des Dorfes und der Welt gibt und das uns unvergesslich verwöhnt, wandern wir noch in einen weiteren entlegenen Talkessel und bestaunen den 3932 Meter hohen Kackar Dagi und die überwachsenen Spuren Jahrhunderte alter Bewirtschaftung unter extremsten Bedingungen. Über eine schwindelerregende Notfallpiste mit unzähligen scharfen und steilen Serpentinen verlassen wir Olgunlar Richtung Süden und übernachten hoch oben auf dem 3.100m hohen Pass eingebettet in einem Sternenmeer. Am Morgen verabschiedet uns das Kackar Gebirge in voller Pracht mit einem strahlend blauen Himmel und es geht hinab über grenzwertige Serpentinen zurück in die Zivilisation. Auf dem Weg sehen wir die Ausmaße kürzlicher verheerender Unwetter und stauen wie zügig Hilfe und Wiederaufbau erfolgen.
Über den Gölyurtpass geht es nun zügig nach Erzurum, wo wir beim Iranischen Konsulat keine bewegenden Neuigkeiten erfahren, einen gigantischen Unicampus bestaunen und bei 6 Grad und Regen bibbern. Aber je weiter wir nun durch karge Landschaften, unterbrochen nur durch imposante Canyons und farbenfrohen Mineralien, nach Süden kommen wird es wieder merklich wärmer. Auf dem Weg besuchen wir in der Nähe von Bingöl ein Thermalbad der lokalen Uni und begrüßen in dem griechisch anmutenden Egil nach langer Zeit wieder einmal den Tigris. Negatives highlight hier ist der sehr schmerzhafte Stich einer orientalischen Hornisse in Leos Daumen – gerade als er beim Friseur saß… In Diyarbakir machen wir nur kurz Station um die gigantische Stadtmauer zu bestaunen, welche man neben der chinesischen Mauer ebenfalls auch vom Mond aus sehen soll, und machen letzte Besorgungen für die bevorstehende Hochzeit.
Eines von vielen Staudammprojekten Gölyurtpass – über Nacht haben die Berge im Hintergrund bereits Schnee bekommen Kunstwerkstatt Felsgräber bei Egil am Tigris Burg Egil am Tigris Schon sehr griechisch… Alter Stadtpalast in Diyarbakir Deckenverzierungen Eingang zur Moschee in Diyarbakir Altes Gasthaus Gasse in Diyarbakir
Ja und dann kommt die große kurdische Hochzeitsfeier im staubig heissen ostanatolischen Batman. Die nette Familie mit der bekannten Eisfirma hatte uns damals vor 5 Monaten schon eingeladen. Es kribbelt in den Füßen und die Luft ist elektrisiert. Gäste aus den USA, Irak, Holland und anderswo sind angereist und wir erleben zwei Tage lang eine teils moderne, in der Basis aber traditionelle Hochzeit mit Hennaabend, kurdischen Kreistänzen, arabischen Sprungtänzen und ca. 300 Gästen. Tosia war schon Wochen zuvor aufgeregt und ist voll und ganz dabei, tanzt alles mit und springt unentwegt um das Hochzeitspaar herum. Für uns alle ist es eine einmalige Erfahrung und wir sind dankbar, dass wir daran teilhaben durften. Eine fiese ostanatolische Grippe die wir auf der Feier mitnehmen und die uns in den nächsten Tagen noch ziemliche viel Kraft kostete, verbuchen wir entsprechend „unter ferner liefen“.
Wir nutzen die Zeit in Batman aber auch um mit Hilfe der Familie unsere Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, was am Ende leider aber nicht klappte. Und dann aber ging es endlich zurück nach Diyarbakir zu unseren Freunden Conny und Artur. Die sind nämlich vor einiger Zeit in Deutschland mit ihrem Expeditionsmobil aufgebrochen und wir haben uns riesig gefreut sie wiederzusehen. Zudem sind sie die ersten Freunde von daheim, die wir nach 1½ Jahren zu Gesicht bekommen. Dank eines großen mitgebrachten Care-Paketes bekommt FRED u.a. heiss ersehnte neue Stoßdämpfer, Fensterdichtungen und die Kinder und wir allerlei Geschenke, Kosmetik und Elektronik. Gemeinsam reisen wir nun zusammen auf alten und neuen Pfaden, zeigen uns liebgewonnene Plätze und Orte in Ostanatolien und feiern in Mardin gemeinsam meinen 45 Geburtstag und Tosias erster Wackelzahn. Dann noch ein spannender Zwischenstopp in Karahan Tepe, wo in der Zwischenzeit wie damals vermutet, weltsensationelles ausgegraben wurde, etwas schlendern über den bunten Basar in Sanliurfa und noch ein Tagesritt und wir sind endlich wieder am Mittelmeer. Hier heisst es nun Sonne, Strand, Meer, Lagerfeuer, Schwimmen und geniessen. Conny und Artur übernehmen gerne und mit einem Lächeln eine temporäre Großelternrolle, da gerade hier bei den Kindern ein großer Bedarf ist. Der Potje brutzelt fast jeden Abend über den Flammen und viele Geschichten über Reisen und die Heimat werden erzählt. In den nächsten Wochen werden wir dann weiterreisen zurück Richtung Alanya, wo wir einen neuen Anlauf für unsere Aufenthaltsgenehmigung genommen haben. Und vielleicht, traut man dem schmalen Hoffnungsschimmer am Horizont, öffnet uns der Iran in der Zwischenzeit seine Pforten. Aber das, werden wir im nächsten Blog sehen…
Mittlerweile sind wir schon über 15 Monate unterwegs und der Reisegroove hat sich eingeschwungen. Sicher gibt es immer wieder Ausreißer, die aber wichtig sind um sich neu einzuschwingen. Verrückte Tage zum Beispiel wo die Kinder durchdrehen und das bei 8 m² Wohnfläche. Wenn sie streiten, kämpfen, stänkern, lachen, kreischen, brüllen… manchmal wirklich wie ein kleines Irrenhaus. Und dennoch spielen sie jeden Tag in Freiheit, lernen so viele neue Freunde kennen, planschen in Pfützen, Bächen und Seen, beobachten die Natur aus der ersten Reihe. Wo wir als Familie hinkommen, fühlen wir uns willkommen. Man ist weitestgehend frei in seiner Meinungsäußerung, wird respektiert und es gibt kaum Vorurteile, nur Vorfreude auf die Abende mit Wein, Tee und Brot, kredenzt mit Geschichten, Zuneigung und Lebensfreude. Es gibt kein richtig oder falsch, positiv oder negativ, nur das hier und jetzt. Und so lassen wir jeden Tag in der Gewissheit auf uns zukommen, dass uns auch heute wieder wundervolle, hilfsbereite, und interessante Menschen begegnen werden. Schon lange lassen wir uns rollen, müssen nicht mehr erreichen. Sind dafür dann aber ganz aufgeregt, wenn es doch mal wieder eine deadline zu halten gilt. Nicht nur gibt diese Reise so viele unvergessliche, unbezahlbare und bunte Begegnungen, sondern schafft auch eine so tiefe Gelassenheit, dass man sich kaum ein anderes Leben mehr vorstellen kann. Und so tuckern wir weiter in jeden neuen Tag, mit seiner eigenen Farbe und Vibration, bereit für neue Abenteuer, Entdeckungen und Geschichten…
Kommentare (1)
Wie schön geschrieben… was für ne tolle Familie. Gerne würden wir noch einige Reisewege mit euch zusammen erleben… mal sehen 😊😇 Irgendwo wird es klappen. Igel und Paola