Nach 2 Wochen verabschieden wir uns von unserem liebgewonnenen workaway in Zeytinada. Am 1.1.2021 unternehmen unsere Freunde mit uns noch eine Wanderung hinab zu einer geheimen Bucht. Wir schlagen uns durch Bananenplantagen und Gestrüpp, stehen dann unvermittelt vor diesem kleinen Paradies und genießen zeitlos Sonne und Meer. Es wird ein schöner, ruhiger, besinnlicher und ausgeglichener Neujahrstag – wenn das ganze Jahr so wird, dann ist es wunderbar!
Bevor wir jedoch endgültig nach Osten weiterfahren, geht es nochmals ein Stück Richtung Westen die Küste zurück nach Olympos, wo unsere IKAMET-Chipkarten auf uns warten. Auf dem Weg machen wir in Konakli Station bei Francois und Patricia, einer Schweizer/Spanischen Familie, die vor kurzem mit ihrem „James Cook“ Wohnmobil aus dem Iran zurückgekehrt ist. Wir verstehen uns auf Anhieb und sitzen kurzweilige Stunden über einer großen Iran-Karte und träumen uns hinein in das alte Persien. Mal sehen, die Chancen in den Iran zu kommen stehen leider nicht so gut.
Auf dem Weg braucht Fred etwas pflege. Er zieht immer schlechter und so reinige ich diverse Filter, baue den Tank aus und ersetze einige Leitungen. In Antalya erstehe ich dann endlich eine Fühlerleere und kann nun auch das Ventilspiel korrigieren. Das Ergebnis ist vorerst positiv. Eine größere Revision haben wir unabhängig davon aber schon ins Auge gefasst.
Nachdem wir in Olympos Thomas und Cidem besucht haben, geht es über die Berge hinab zu einer kleinen Welt in sich. An einem großen breiten Strand bei Kumluca, haben sich um die zehn Fahrzeuge aus verschiedensten Ländern zu einem kleinen Camp zusammengefunden. Es ist eine bunte Mischung aus Familien, Hippies und Alleinreisenden, die alle das große Warten auf Grenzöffnung zum Iran oder Georgien eint. Hier am Meer sind die Temperaturen mild, man nutzt die Zeit, um eventuell ein Ikamet zu beantragen und die Kinder gemeinsam zu unterrichten. Leo und Antonia freuen sich über den Austausch mit anderen Kindern und sind den ganzen Tag auf Achse. Wir nutzen die Zeit für Reparaturarbeiten und vor allem ein intensives Kartenstudium (eins meiner Lieblingswörter als Geograph!), denn gerade die unscheinbaren kleine Ziele links und rechts des Weges sind meist die Verlockendsten.
Nun aber kehrten wir dem Okzident den Rücken und fuhren definitiv Richtung Orient. Wahrscheinlich sind wir nun schon ein gutes Dutzend Mal die Küstenstraße zwischen Antalya und Alanya entlanggefahren. Es sollte nun hoffentlich für lange Zeit die letzte Runde sein. Uns so besuchten wir alle Freunde auf dem Weg, machten in Belek einen Ölwechsel und mit dem letzten Hupen und Winken hinter Zeytinada durchbrachen wir endlich die magische Grenze und stießen Richtung Osten in uns unbekannte Galaxien vor…
In Anamur folgen gemütliche Nächte bei Sturm und Regen. Wir fühlen uns wie auf einem Schiff, denn Freds Höhe lässt ihn entsprechend schaukeln. Und so müssen wir in den Nächten auch immer wieder mal umsetzen und uns gegen den Wind stellen. Es gibt viel zu entdecken. Das alte Anamurium, versteckte Höhlen in den Kliffs und unterirdische „Spucklöcher“ am felsigen Ufer aus denen die Drachen für die Kinder gierig Fontänen in die Höhe schiessen. Märchenhafte Orte an denen es dann hin und wieder auch Märchen, wie den Fischer und seine Frau, gibt.
Das nächste größere Highlight aber ist die Gilindire Höhle. Hoch über dem Meer erreichen wir bei windig kalten 7°C über ein riesiges Stahlgerüst den versteckten Eingang. Wir durchschreiten bei 24°C und nahezu 100% Luftfeuchtigkeit eine unsichtbare Wand und tauchen ein in ein Paradies aus Tropfsteinen und Sinterformationen die einem den Atem verschlägt. Dann, tief unten im Berg, ein gigantischer kristallklarer See, in den man durchgeschwitzt am liebsten reinspringen möchte. Für uns die schönste Höhle, die wir bisher gesehen haben.
Anschliessend schrauben wir uns gewärmt von der Küstensonne auf 1300m in den Taurus im Landesinneren hinauf. Zur großen Freude der Kinder erwartet uns hier eine verschneite Hochebene und so stoppen wir recht bald für eine Schneeballschlacht. Beim Alahan Kloster und in der Nacht darauf gibt es erste Kältetests für Fred und den Wohnaufbau. Alles funktioniert wie es soll. Trotz berauschender Weiten, gigantischen Canyons und schroff abfallenden Felsformationen, treibt uns der eisige Wind und Schneefall wieder zurück Richtung Meer – diesmal also umgekehrt zum Sommer. Wir schlängeln uns entlang der Schluchten des Goksu Nehri Flusses und sind ganz froh gestimmt über die Ähnlichkeit und Erinnerungen an den Gorge du Verdon in der Provence. Kurze Zeit später ein „patriotischer“ Pflichtstopp am bescheidenen Denkmal für Kaiser Barbarossa, der hier auf seinem Kreuzzug noch weit vor dem eigentlichen Ziel in den Fluten des Nehrik, einen recht unspektakulären Tod fand. Eine schöne geographisch/geschichtliche Brücke die wir nun schlagen können, hin zum mehrmals erwanderten Kyffhäuser in Thüringen.
Zurück an der Küste besuchen wir die verwunschenen Ruinen von Kanlidivane rund um eine Einsturzdoline. Aber das war erst der Anfang. Zwei so richtig amtliche Einsturzdolinen fanden wir bei den sogenannten Korykischen Grotten. Beide sinnbildlich benannt in „Himmel“ und „Hölle“. Jeweils ca. 130m tief, wobei die Hölle rundum senkrecht abfallend unzugänglich ist, zudem vom Höllenhund Kerberos bewacht wird und nur über eine schön kribbelnde überhängende Glasplattform einsehbar ist. Der Himmel aber, wie soll es anders sein, toppt das natürlich noch. 200m im Durchmesser und ein Abstieg durch einen tropischen Dschungel. Unvermittelt steht man dann am Fuße einer gigantischen Höhlenkathedrale. Mehrere Tempel und Kapellen zeigen an, dass seit alters her so einiges Mystisches und die ein oder andere Erleuchtung stattgefunden hat. Die Kathedrale zieht sich tief in den Berg hinein und flacht am Ende immer mehr ab. Jetzt muss man schon fast kriechen und dann hört man ihn, immer deutlicher… einen gigantischen unterirdischen Fluss, der direkt unter einem, getrennt nur durch ein paar Meter Geröll, dahinschießt. Man spürt ihn, wie man die Turbinen in einem Kraftwerk spürt. Gruselig, majestätisch und beängstigend zugleich.
In Mersin treffen wir wieder einmal auf Till und Ates, Reisefreunde aus Deutschland mit einem wunderschönen blauen 508er und einer ebenso blauen Schwalbe. Wir feiern Geburtstag mit Semmlelknödeln, lassen Drachen steigen, erzählen Geschichten, drehen endlose Runden mit Antonia auf dem Moped und hören Neue Deutsche Welle beim Abendbrot zu einer Riesenportion Senfeiern. Ein wenig Heimatgefühl und doch wohl rundum antagonistisch zudem, was man gerade in der Heimat täte…
Zwei nervenaufreibende Versuche einen undichten Dieselvorwärmer zu reparieren, führen uns noch ins Werkstattviertel von Mersin. Auch hier zwei weitere Versuche und dann ist wieder alles dicht. Weiter geht es zur Kreuzritterburg Yilankale, hoch über der Ebene der Kilikischen Pforte. Ein magischer Ort, wo wir mehrere Tage die Seele baumeln lassen, intensiv mit Freunden und Familie daheim konferieren, klettern, Federball spielen, lecker kochen usw. An einem Sonntag feiern wir Leos 11. Geburtstag. Es gibt Mamas Marmorkuchen aus dem Omnia-Backofen, Papas BBQ-Burger und einen ordentlichen Kinoabend mit den „Blues Brothers“. Leo ist rundum glücklich – und das ist das schönste an diesem Tag.
Nur wenige Kilometer entfernt stürzen wir uns in Anavarza wiederum in geschichtlich hochspannendes Terrain. Auch hier steigt aus der Ebene plötzlich eine nur wenige Kilometer lange und 220m hohe Bergkette. Zu ihren Füßen liegt die gleichnamige ehemalige Antikstadt. Bis heute haben nur sporadisch Ausgrabungen stattgefunden. Es wird vermutet, dass diese Stadt noch größer und beeindruckender ist als Ephesus. Aber noch schlummert hier alles gut verborgen unter einem dichten Grasteppich, auf dem heute glücklich Kühe und Schafe weiden und sich genüsslich hin und wieder den Rücken am Rest einer antiken Säule reiben. Oben auf dem Berg, die Reste der Oberstadt und späteren armenischen Burg. Prima Baumaterial gab es in der Ebene ja genug und so ist manch Burgfried mit romantische anmutenden Gesimsen, Friesen und Kapitellchen durchsetzt.
Es ist bereits Mitte Februar als wir endlich in die Provinz Hatay fahren. Eingerahmt von der syrischen Grenze und dem östlichsten Zipfel des Mittelmeeres (Bucht von Iskenderun), erwartet uns hier mit 22°C und teilweise blühenden Obstbäumen bereits der Frühling. Vorbei an gigantischen Industrieanlagen stoppen wir zunächst in Iskenderun, welches uns sehr an die Hafenstadt Batumi in Georgien erinnert. Je weiter wir nun auf der Küstenstraße Richtung Samandag fahren, desto mehr nehmen die Kontrollen durch die Jandarmerie aufgrund der Nähe zu Syrien zu. Wenig später stehen wir am Fuße des Musa Dagh. Einigen mag dieser Berg vielleicht ein Begriff sein. Bei mir ist es schon gut 20 Jahre her, dass ich das Buch „Die 40 Tage des Musa Dagh“ von Franz Werfel gelesen habe, bei dem es um den Mord und die Vertreibung der Armenier im Jahre 1915 geht. Wir fahren mit einem ehrfürchtigen Gefühl durch die ehemaligen Dörfer und es ist beklemmend und ergreifend zugleich, die Geschichte so hautnah zu spüren.
Dann endlich erreichen wir die ehemalige Weltstadt Antakya, berühmt bis heute für seine Toleranz und Schmelztiegel der Weltreligionen – Judentum, Islam, Christentum ob orthodox oder katholisch, alles findet sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Hier gaben sich die Apostel die Klinke in die Hand und hier weihte Petrus die erste Kirche überhaupt. Auch der Name „Christen“ wurde in dieser Stadt erstmals genannt. Umso schwerer vorstellbar, dass nur wenige Kilometer weiter ist Syrien – ein Land das nicht nur geschichtlich, sondern auch religiös eng verwoben mit Antakya ist, nach Jahren noch immer in einem so sinnlosen und menschenverachtenden Stellvertreterkrieg verfangen ist.
Nach 7 Monaten gönnen wir uns hier das erste Mal wieder ein festes Dach über dem Kopf. Da wir selbst einmal Hochschullehrer waren, kommen wir ohne Probleme im „Gästehaus der Lehrer“ unter. Diese gibt es in jeder größeren Stadt, sind kostengünstig, großzügig ausgestattet und in der Regel sehr zentral gelegen. Der meist morbide „sozialistisch“ anmutende Stil ist für uns eher ein nostalgischer Genuss, als dass er abwertend ist. Die Kinder sind glücklich und überdreht, nach der langen Zeit wieder echte Betten und ein eigenes Zimmer samt Dusche zu haben. So genießen wir die mehrtägige Wohnmobilpause und lassen uns immer wieder durch die wuseligen engen Gassen des Basarviertels und der Altstadt Antakyas treiben. In nur wenigen Metern trifft man auf französischen Kolonialstil, orientalische Gassen, Jugendstil und riesige osmanische Konaks. Wir kaufen auf dem Basar getrocknete Maulbeeren und Äpfel, bekommen einen großen Vorspeisenteller (Meze) geschenkt, besuchen das weltberühmte Mosaikmuseum und sind fasziniert von dieser bunten Stadt und ihren herzlichen Menschen.
Wir schwenken wieder nach Norden, denn nur wenige Kilometer südlich beginnt bereits syrisches Territorium. Ein letztes Highlight für diesen Blog ist die Tempelritterburg Bakras. Auch hier übernachten wir direkt unterhalb des Burgfriedes mit weitem Blick in die Hatay-Ebene und hören nachts die Goldschakale heulen. Erst vor 300 Jahren ist sie bei einem großen Erdbeben in sich zusammengestürzt und birgt wohl noch so manchen wertvollen Schatz. Für uns ist es die geheimnisvollste Burg der Reise bisher. Von außen so unscheinbar, doch ist man erstmal hineingeklettert, wird die einstige Größe erkennbar. Wir kriechen durch unzählige Gänge, Tunnel und über Stufen, landen immer wieder in riesigen halb verschütteten unterirdischen Hallen und Katakomben. Ein Abenteuerspielplatz mit atemberaubender Aussicht. Es ist schwer Antonia zu bändigen, immer wieder geht es jäh abwärts. Um die Nerven zu beruhigen, wandern wir in das Tal unterhalb der Burg, entdecken paradiesisch gelegene alte verlassene Gehöfte und Obstgärten.
Über den Belen-Pass geht es zurück ans Meer und nach Iskenderun. Hier treffen wir wieder mal auf Peter unseren Neuseeländischen Freund. Wir sind keine 5 Minuten vor Ort und schon drei Menschen stehen bei uns. Wir bekommen ein ganzes Abendbrot geschenkt, eine Wohnung angeboten und tauchen ein in spannende Lebensgeschichten. Und wieder schmecken wir diese wundervolle Würze eines Reiselebens und die Magie des Moments – all das auch noch eingehüllt in einen zauberhaften Sonnenuntergang…
Über all dieser schönen Reiseromantik liegt aber auch für uns spürbar ein dunkler Schatten. Mit gemischten Gefühlen beobachten wir, wie sich die Welt verändert, wie die Menschen in verschiedene Richtungen auseinanderlaufen und dabei jeder für sich die Wahrheit beansprucht. Die Leichtigkeit des Seins scheint abgeschafft und die wirklichen Probleme bleiben bewusst fern der öffentlichen Wahrnehmung. So kämpfen, für uns fast spürbar und nur einen Steinwurf entfernt, die Großmächte um ihre Vorherrschaft in der Region. Die Töne werden immer aggressiver und auch mit einem neuen amerikanischen Präsidenten geht das Säbelrasseln weiter. Bewegen wir uns nicht, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, wieder auf den Abgrund eines großen Krieges zu? Leider aber geht auch diese wichtige Frage im täglichen Corona-talk unter. Unverständlich, denn wieviel mehr Menschenleben stehen hier tatsächlich auf dem Spiel…
Mit diesen Gedanken abseits des Reisealltags geht der Blog zu Ende. Wir stehen am Strand von Yumurtalik, vor der Tür zieht eine Schafherde vorbei und der Schäfer lächelt und winkt. Die Kinder bauen eine Sandburg und der Duft von Madziks frisch gebackenen Bananenkuchen liegt in der Luft. Und das ist sie doch wieder… spürbar.. die Leichtigkeit des Seins!
Kommentare (3)
Hallo ihr vier,
die Welt hat doch soooo viel zu bieten…. ich kann mir vorstellen, einen fotografischen Durchfall zu bekommen in diesen Fotoparadiesen und bei euch kommt dann noch ein geografischer Durchfall hinzu, oh wei oh wei!!
Kaum zu glauben, der nächste Block wird schon zur Halbzeit sein, also fettet schmiert und ölt den guten Fred immer gut und dann weiter Richtung Knorizont.
Immer wieder schön eure Reiseberichte zu lesen und die wunderschönen Bilder zu sehen.
Liebe Grüße aus dem eiskalten Bünde, Temperatur 0° Grad und Hagel heute, ts ts ts
Bis dahin,
Marc und Gudrun
Willkommen in der Türkei. Wir haben uns gerade in Malatya Darende getroffen … Ich verfolge Ihre Reise aufgeregt. Ich bin sicher, es ist eine lustige Route. sehr schön überall in der Türkei. Ich wünsche Ihnen einen schönen und schönen Tag.
Hallo Ihr lieben Vier! Es macht mich sehr glücklich euch beim Reisen zuzugucken! Ihr habt die beste Zeit! Herzlichen Glückwunsch zu Magda Geburtstag! Vom anderen Widder.. 😉